VOIR SEHEN
2003 – 2010 VOIR – Sehen
Über das Stilistische und das Literarische
28.-30. 12. 2009
„If the doors of perception were cleansed, every thing would appear to man as it is, infinite.“ („Wenn die Pforten der Wahrnehmung gereinigt würden, würde alles dem Menschen erscheinen, wie es ist: unendlich.“).
William Blake
Thomas Demand in der Nationalgalerie. In den Begleittexten Botho Strauss, sinngemäß: Bilder versiegeln das Unsichtbare, doch manchmal geben die leeren Räume die unsichtbare Erzählung wieder. Dazu ergänze ich mir: Das, woran wir uns erinnern, da waren wir nie, es sind nur Fantasien unserer Sehnsüchte. Und da rutsche ich gleich ins 19. Jahrhundert zurück, in die Laubrankenwerke der Nazarener, in Liebermanns Sommersonnenflecken, in Menzels Buschwerk und Baumkronen, die wie eine Kathedrale mit den Augen betretbar sind. Räume der Malerei, ein jenseitiges Raummodell, verweisend, als ob es irgendwo einen Raum gäbe, in dem alle falschen Bilder der Erinnerung rekonstruiert und bereinigt wären. „Wenn wir uns in der Zeit ausbreiten könnten, wären wir Riesen, wie Wolken“ schreibt Proust und was hat Rimbaud in Harar noch schweigend, die Poesie hassend, gedichtet? Nur der Stil verweist auf die Haltung hinter dem Spiegel.
Sofort werfe ich mir Einfallslosigkeit im Erzählerischen, im Dramaturgischen vor. Allegorisches, Symbolisches, Literarisches, Erzählerisches – geschenkt, mir selbst an anderer Stelle. Erotisches. Fantastisches. Es alle existiert nur als etwas Comicartiges in der Schublade, ein Atlas-Alb, ein weißer amorpher Fleck in großer Dunkelheit, ein lauerndes Krokodil.
Was hat Rimbaud in Harar gedichtet und gehasst? Nach gut fünfhundert Bilder die Landschaft von ganz unten. Amorphes. Unterholz. Trockenes Laubwerk. Lenbachs Hirtenknabe. Von Innen heraus. Entwickelnd.
Tauchend
Bloßgestellt
Weit
Jedes Ding, jedes Abbild, jeder Gegenstand, jeder Fleck, enthält die gesamte Erzählung, die Form beinhaltet die Dramaturgie. Eine Frage des Stils: Schönheit. Bescheidenes, Pathos. Erhabenes. Winziges. Unscheinbares.
Ein Kanon:
Dürer
Holbein
Vermeer
Velasquez
Van Dyck
Tiepolo
Corot
Friedrich
Blechen
Rottmann
Dillis
Klimt
Courbet
Monet
Sisley
Fatin-Latour
Klinger
Böcklin
Blake
Segantini
Van Gogh [der Mittlere]
Kühl
Menzel
Von Alt
Wenglein
Liebermann
Mondrian [der ganz Frühe]
Schmidt-Rottluff
Hopper
Morandi
Chirico
Magritte
Abendsonne: Blaue/violette Wolkenstreifen gegen Orange
Buchen, Birken, ansteigend gegen das Spätnachmittagslicht
Märzlicht, das auf einem Grasrücken den Schnee abtaut
Trockene Schlingpflanzen am Straßenrand
Eine Tanne
Die Landschaft war schon immer da. Vorhang: dahinter zu Flucht Schutzzone, Wohnstatt. Themen. Licht Gegenlicht, Abendlicht, Dunkelheit, Restlicht, Gewitterlicht, Mondlicht, Sonnenlicht, Sommerlicht, Herbstlicht, Frühlingslicht.
Näher, mehr, mehr, legt sie sich mir auf die Augen, die Bäume, das Gras, die Wiese; das Sehen erschöpft, erschlägt mich, bombardiert. Alle Plätze auf jedem Moment. Mehr, mehr, mehr…
An dich, lieber Meidner, wir können mit den Blitzen nicht umgehen. Es genügt doch ein einzelnes Bild, ein Moment, Gras, Steine.
Das Nebenbei, der Hauptgrund, das Beiwerk, der Boden.
„Das Große Gehege“ Video I zu „Voir – Sehen“, 2004
Markus Jaursch markusjaursch.de Markus Jaursch Kunst
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